Einer eigenen Erkrankung vorbeugen – Was Kinder mit psychotisch erkrankten Eltern selbst machen können

Leider ist es erwiesen, dass die eigene Erkrankungswahrscheinlichkeit von Kindern mit einem Elternteil, der an Psychosen erkrankt ist, deutlich gegenüber dem Bevölkerungsdurchschnitt erhöht ist und noch einmal erheblich ansteigt, wenn beide Eltern an Psychosen erkrankt sind. (Quellen 1)

„Kann ich das auch bekommen?“

Die Frage „Kann ich das auch bekommen?“ beschäftigt Kinder mit psychotischen Eltern früher oder später. Sie stellen sie sich und manchmal auch ihren Bezugspersonen. Wenn Kinder das Thema beschäftigt (und auch erst dann!) gilt es diese im Raum stehende Frage ehrlich mit ihnen zu besprechen und zwar so, dass sie dadurch gestärkt werden. 

Kindern Zuversicht geben, die Erkrankung nicht zu entwickeln

Um Kinder in diesem Zusammenhang zu stärken, ist folgendes hilfreich:

  • Das Kind ehrlich und empathisch informieren
    Informieren Sie das Kind ehrlich und sachlich mit entwicklungsentsprechenden Worten über die Möglichkeit einer eigenen Erkrankung und dass wir letztendlich noch wenig über die ganz genauen Ursachen wissen. Das Kind hätte sich natürlich eine andere (ehrliche) Antwort von Ihnen gewünscht. Das können Sie auch genau so benennen und drücken Sie Ihr Bedauern aus, dass Sie ihm nichts anderes sagen können.
  • Diese Information losgelöst von anderen wird die Ängste des Kindes vor einer eigenen Erkrankung wahrscheinlich verstärken. Betonen Sie daher auf jeden Fall den höheren Anteil der Kinder, die nicht dieselbe Erkrankung wie ihre Eltern entwickelt.
  • Sie können das Kind auch auf prominente oder nicht prominente erwachsen gewordene Kinder psychisch erkrankter Eltern aufmerksam machen (z.B. Beiträge erwachsener Kinder in der Broschüre „Ohne Netz und Boden“), die nicht die Krankheit ihrer Eltern entwickelt haben. 
  • ggf. Hinweis, dass Kind bereits das kritische Alter für eine eigene Erkrankung überschritten hat
    Wenn es sich um ein erwachsen gewordenes Kind handelt, das 30 Jahre oder älter ist, können Sie es darauf aufmerksam machen, dass es unwahrscheinlicher geworden ist, dass es noch erkrankt – zumindest an Schizophrenie. 
  • Geben Sie dem Kind Sicherheit, stellen Sie ihm Ihre Wahrnehmung zur Verfügung
    Melden Sie dem Kind  zurück, dass aus Ihrer Sicht nichts darauf hindeutet (sofern dem so ist), dass es die Erkrankung/die Symptome des Elternteils entwickelt. 
    In diesem Zusammenhang ist es hilfreich, mit dem Kind zu klären, ob es an sich etwas wahrgenommen hat, was es als einen (möglichen) Hinweis auf eine eigene Erkrankung interpretiert. Entweder können Sie dem Kind anschließend selbst helfen, diesen wahrgenommenen Punkt neu einzuordnen (z.B. schlechte Träume sind kein Hinweis, dass jemand eine Psychose entwickelt) oder wenn das dem Kind nicht ausreicht oder es tatsächlich ein erstes Symptom sein könnte, können Sie ihm anbieten, zusammen die Rückmeldung einer Fachkraft für psychische Erkrankungen einzuholen. In größeren Städten gibt es für junge Menschen auch Früherkennungszentren für Psychosen.
  • GesprächspartnerIn für Kind sicherstellen
    Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch mit dem Kind zu klären, mit wem es sprechen bzw. wen es kontaktieren würde, wenn es zu einem späteren Zeitpunkt mögliche Symptome an sich entdeckt oder die Angst vor einer eigenen Erkrankung sehr groß würde.
  • die Selbstwirksamkeit des Kindes zu stärken, also es darauf zu fokussieren und ihm Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen, was nach aktuellem Wissensstand machen kann, um die Wahrscheinlichkeit eines eigenen Krankheitsausbruchs zu senken.

Wie Kinder dazu beitragen können, sich vor eigener Erkrankung zu schützen

  1. Auf das Ausprobieren von Drogen wie Cannabis, LSD, Marihuana und Kokain und übermäßigen Alkoholkonsum verzichten, da das Psychosen erstmalig auslösen kann (Quelle 2).
  2. Auf Rauchen verzichten, da es Studien gibt, die darauf hindeuten, dass es ebenfalls einen Ausbruch begünstigen könnte (Quellen 3)
  3. Vor einer Medikamenteneinnahme sich erkundigen (ApothekerIn fragen bzw. Packungsbeilage durchlesen), ob bekannt ist, dass diese Medikamente bereits eine bipolare Störung oder Schizophrenie ausgelöst haben und mit dem behandelnden Arzt bzw. der behandelnden Ärztin ggf. über mögliche Alternativen sprechen. 
    Folgende Medikamente könnten bipolare Störungen auslösen: kortisonhaltige Präparate, Methylphenidat, bestimmte Antiparkinson- und Epilepsie-Medikamente. (Quelle 4)
  4. Sich vor schweren Infektionserkrankungen so gut wie möglich in verhältnismäßigem Rahmen schützen. Bestimmte Viren und Bakterien scheinen bei einigen entzündliche Prozesse im Gehirn auszulösen, die Symptome von Depressionen oder Psychosen verursachen können (Quelle 5).
    Auch im Zusammenhang mit Covid-19 sind solche Phänomene zu beobachten.
  5. Auf eine gesunde Ernährung mit vielen Omega-3-Fettsäuren (Quelle 7/7a), ohne zusätzlichem Zucker und ausreichend Vitamin D und B12 achten (Quelle 8). Ob sogar eine ketogene Ernährung bereits als präventiver Ansatz hilfreich ist, sollte individuell entschieden und die aktuelle Forschung dazu weiter im Auge behalten werden. vgl. Post zum ernährungstherapeutischen Behandlungs- und Präventionsansatz
  6. Da belastende Lebensereignisse (=Stress) immer noch als Auslöser auch für diese Erkrankungen gilt: Diese vermeiden 🙂 Einen möglichst hilfreichen Umgang mit hohen Anforderungen lernen und sich viel damit beschäftigten, was Menschen insgesamt mental stärkt, also die eigene Resilienz ggf. mit Unterstützung ausbauen. 
  7. Alles machen, was dem eigenen Wohlbefinden zuträglich ist, die Resilienz fördert und dadurch auch das Immunsystem stärkt wie Lachen, Freundschaften pflegen, sich auf das Positive im Leben fokussieren und angenehme Momente schriftlich festhalten, anderen Menschen eine Freude bereiten etc.  
Diese Maßnahmen sind auf jeden Fall sinnvoll

Selbst wenn sich später andere Faktoren als konkrete Ursachen bestimmter psychiatrischer Erkrankungen herausstellen, fördern diese Maßnahmen die Gesundheit der Kinder. Sie lohnen sich also allein schon deswegen umzusetzen!

Ursachen von Schizophrenie und bipolarer Störung

Für eine effektive Prävention wäre es hilfreich zu wissen, wie die einzelnen derzeit noch als „psychische Störungen“ bezeichneten Erkrankungen genau entstehen. Doch selbst bei schweren Erkrankungen wie Schizophrenie und bipolarer Störung wissen wir das noch nicht genau. Infektionen scheinen bei einigen Erkrankungen eine Rolle zu spielen (Quelle 5).  Derzeit dient „Vulnerabilitäts-Stress-Modell“ als Erklärungsgrundlage. Es wird von einer Wechselwirkung zwischen einer
biologischen Vulnerabilität (Verletzlichkeit) und Umweltbelastungen (Stress) ausgegangen, das zusammen treffen müssen, um die Erkrankung auszulösen (Quelle 9). Es wird aber auch vermutet, dass sich hinter psychotischen Symptomen mehrere unterschiedliche Erkrankungen verbergen könnten (Quelle 10). Bleibt  für betroffene Familien zu hoffen, dass sich das Rätsel eines Tages dank Ursachenforschung und Basisdiagnostik löst – genau wie die Ursache von Syphilis, bei der ein Bakterium im fortgeschrittenen Stadium das Nervensystem befallen und zu Wahrnehmungsstörungen führen kann.

Eine gewisse Angst vor eigener Erkrankung bleibt bei vielen Kindern

Trotz allen Möglichkeiten, die zu mehr Selbstwirksamkeit führen, bleibt bei vielen Kinder oft eine gewisse Angst, selbst zu erkranken. Das wird bei vielen meiner Gespräche mit betroffenen erwachsenen Kindern immer wieder deutlich. Auch wenn die Frage eigener Kinder im Raum steht oder die Geburt eines Kindes bevorsteht, wird sie öfter noch einmal größer. Das ist normal und verständlich.

Denn selbst trotz aller präventiver Maßnahmen gibt es  keine 100%ige Sicherheit, nicht dennoch eine Psychose zu entwickeln. Mit einer gewissen Unsicherheit müssen betroffene Kinder lernen zu leben. Auch mit der Sorge, dass ihre eigenen Kinder einmal erkranken könnten.

Wichtig ist, sich von dieser Angst nicht zu sehr einschränken zu lassen und sein Leben trotz ihr zu genießen.

Vielleicht hilft dem Jugendlichen oder erwachsenem Kind dabei folgende Haltung:

Ich mache alles, was ich beeinflussen kann, so gut ich kann, um einer eigenen Erkrankung vorzubeugen. Dann lasse ich los, vertraue mich meinem Schicksal an und mache das Beste aus ihm. 

Quellen zur erhöhten Erkrankungswahrscheinlichkeit für Kinder mit an Psychose erkrankten Eltern

1. Fritz Mattejat: Übersichtsarbeit Kinder psychisch kranker Eltern, Deutsches Ärzteblatt 2008, S. 413-418 leider ohne Angabe der Primärquelle (trotz ausführlicher Recherche habe ich diese nicht gefunden, freue mich über Hinweise!)

1. Blog-Beitrag: Bislang größte genetische Studie zur bipolaren Störung liefert Ergebnisse, die auch für Kinder der erkrankten Elternteile sehr relevant sind (mit Studienquellen)

1. Blog-Beitrag: Vorfahren haben starken Einfluss auf Depressionen bei Kindern – aktuelle Studie bestätigt Risiko – Prävention sinnvoll (mit Studienquellen)

Studien zum Einfluss bestimmter Substanzen auf einen Krankheitsausbruch

2. Gulden, Josef: Cannabis und Psychose – Kausaler Zusammenhang wird immer sicherer, Deutsches Ärzteblatt 2011, 108 (19) mit Links zu Studien

3. Pedro Gurillo, Sameer Jauhar, Robin M Murray, James H MacCabe: Does tobacco use cause psychosis? Systematic review and meta-analysis, The Lancet Psychiatry, Volume 2, Issue 8, 2015, S. 718-725

3. Richter, Inga: Psychische Gesundheit – Die Seele raucht mit, Pharmazeutische Zeitung vom 21.07.2015

4.Dobmeier, Julia; Feichter, Martina: Bipolare Störung, Netdoktor online (Stand: 05.11.2021) – leider ohne direkte Quellenangabe

7. Blog-Beitrag: Omega-3-Fettsäuren könnten präventiv gegen den Ausbruch von Psychosen wirken und deren Behandlung verbessern (mit Studien)

7a. Carina Rehberg: Ernährung gegen Depressionen, Zentrum der Gesundheit vom 05.02.2022

8. Blog-Beitrag mit weiteren Quellen: Vitamin B12 im Zusammenhang mit Schizophrenie und Depressionen

Quellen zur Ursache von Psychosen

5. Blog-Beitrag: Psychosen – den Ursachen auf der Spur

5. Bathke, Christopher: Infektion und Psychose, Deutsches Ärzteblatt 2008, 105; 412

6. Blog-Beitrag mit Stellen: Covid-19 löst eine für die Erkrankung typische Entzündung im Gehirn aus – Parallelen zu molekularen Prozessen wie sie bei Schizophrenie und Depressionen vorkommen

9. S3-Leitlinie „Diagnostik und Therapie Bipolarer Störungen“ der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. (Stand: 2019)

10. Blog-Beitrag mit weiteren Quellen: Schizophrenie – eine Scheindiagnose – Plädoyer für mehr Ursachenforschung und Basisdiagnostik

 

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