Risikogene für Schizophrenie lokalisiert

Noch immer sind die Ursachen von Schizophrenie nicht vollständig entschlüsselt und eine an den Ursachen ansetzende Behandlung dementsprechend nicht möglich. Dass es eine hohe genetische Komponente gibt, darauf deutet immer mehr hin. Zwei Forschergruppen haben nun unabhängig voneinander übereinstimmend Risikogene gefunden, die bei der Entstehung von Schizophrenie eine maßgebliche Rolle spielen könnten.

Beide Genomstudien zeigen, welche Genvarianten das Risiko für die Schizophrenie vermutlich extrem erhöhen, in welchen Genen sie liegen und wie stark der Effekt ist. Noch wichtiger jedoch: Beide Studien zusammen erhellen, welche molekularen Mechanismen bei der Schizophrenie außer Kontrolle geraten. „Die in einer globalen Kollaboration erzielten Ergebnisse markieren einen wichtigen Fortschritt in unserem Verständnis der Schizophrenie-Ursachen“, kommentiert Joshua Gordon, Direktor des US National Institute of Mental Health (NIMH).

Identifierte Mutationen in Genen beeinflussen Synapsen

Das Team um Vassily Trubetskoy von der Charité – Universitätsmedizin in Berlin hat eine genomweite Vergleichsstudie mit mehr als 76.700 Schizophrenie-Erkrankten und 243.600 Kontrollpersonen durchgeführt. Die Forschenden fanden heraus, dass die Mutationen vor allem in Genen konzentriert waren, die in den Neuronen des Nervensystems aktiv sind und dort grundlegende Prozesse unter anderem der Synapsen steuern – der Schaltstellen im Gehirn, an denen elektrische Nervensignale über chemische Botenstoffe weitergegeben werden. Gleichzeitig verteilen sich diese Genvarianten aber über fast das gesamte Gehirn. „Das deutet darauf hin, dass die abnormale neuronalen Funktion bei der Schizophrenie nicht nur auf eine kleine Anzahl von Hirnstrukturen beschränkt ist“, so die Forschenden.

Zweite Studie identifiziert Risiko-Genmutationen

In der zweiten Studie wurden proteinkodierende Gene von gut 24.200 Menschen mit Schizophrenie und mehr als 97.000 gesunden Kontrollpersonen verglichen. Dabei wurde gezielt nach seltenen, aber sehr folgenreichen Genmutationen gesucht, die fehlerhafte oder verkürzte Proteine erzeugen. Dadurch können diese Proteine ihre Funktion nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr ausüben. Bei den Schizophrenie-Patienten identifizierte das Team Veränderungen in zehn Genen, die das Erkrankungsrisiko stark erhöhen. „Normalerweise liegt die Wahrscheinlichkeit bei knapp einem Prozent, dass ein Mensch im Laufe seines Lebens eine Schizophrenie entwickelt“, sagt Koautor Benjamin Neale vom Massachusetts General Hospital. „Aber wenn man eine dieser seltenen Mutationen hat, dann steigt das Risiko auf zehn, 20 oder sogar 50 Prozent.“

Die zehn neuen Risikogene liefern weitere Hinweise darauf, welche Fehlfunktionen eine Schizophrenie auslösen. So sind zwei dieser Gene, GRIN2A und GRIA3, eng mit der Struktur und Funktion der Synapsen verknüpft. Die beiden Gene kontrollieren eine Andockstelle für den Botenstoff Glutamat, der schon länger im Verdacht steht, an der Übererregbarkeit des Gehirns von Schizophrenie-Patienten beteiligt zu sein.

Mögliche Erklärung, warum Schizophrenie im jungen Erwachsenenalter ausbricht

Ein identifiziertes Gen ist außerdem im Gehirn junger Erwachsener am aktivsten. Das könnte erklären, warum eine Schizophrenie typischerweise in diesem Alter ausbricht.

Noch ist nicht für alle identifizierten Risikogene und Genvarianten geklärt, was genau sie im Gehirn bewirken und wie sie das Auftreten einer Schizophrenie begünstigen. Nach Ansicht der Wissenschaftler eröffnen die neuen Erkenntnisse aber wertvolle Ansatzpunkte, um nun die biologische Basis der Schizophrenie weiter aufzuschlüsseln – und so möglicherweise auch bessere Therapien für die Krankheit zu finden.

Damit der Erkenntnisse zu einer besseren Behandlung von Menschen mit Schizophrenie führen, wird es noch einige Jahre brauchen

„Realistischerweise werden wir aber noch einige Jahre brauchen, um diese Resultate in konkrete Biomarker und Behandlungen zu überführen, die das Leben der Betroffenen verbessern können“, sagt Steven Hyman vom Broad Institute. „Aber es ist hochgradig motivierend, jetzt einen klareren Weg dahin zu sehen.“

Quellen & Vertiefung

Nadja Podbregar: Risikogene für Schizophrenie identifiziert – Genvarianten liefern neue Hinweise auf biologische Ursachen der psychischen Erkrankung, in scinexx vom 07.04.2022 [Abruf: 11.04.2022]

Die Biologie der Schizophrenie besser verstehen, idw – Informationsdienst Wissenschaft vom 07.04.2022, online: https://nachrichten.idw-online.de/2022/04/07/die-biologie-der-schizophrenie-besser-verstehen/?groupcolor=4[Abruf: 11.04.2022]

Clare Roth: Schizophrenie: Genmutationen geben Hinweise auf Risiko und Ursache, DW vom 07.04.2022, online https://www.dw.com/de/schizophrenie-genmutationen-geben-hinweise-auf-risiko-und-ursache/a-61394596 [Abruf 11.04.2022]

Für Ärzte im Ärzteblatt vom 11.04.2022: Schizophrenie – Studien finden Störungen auf der Ebene der Synapsen im Gehirn

Studien veröffentlicht in Nature

Trubetskoy, V., Pardiñas, A.F., Qi, T. et al. Mapping genomic loci implicates genes and synaptic biology in schizophrenia. Nature 08.04.2022, online: https://doi.org/10.1038/s41586-022-04434-5 [Abruf: 11.04.2022]

Singh, T., Poterba, T., Curtis, D. et al. Rare coding variants in ten genes confer substantial risk for schizophrenia. Nature vom 08.04.2022), online: https://doi.org/10.1038/s41586-022-04556-w [Abruf: 11.04.2022]

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