Selbsthilfe für Kinder und Orientierung – Anregungen von Erwachsenen, die mit an Psychose erkrankten Eltern aufgewachsen sind

Selbstwirksamkeit als Gegenteil von Hilflosigkeit

Sich über längere Zeit extrem hilflos zu fühlen, ist besonders schädlich für Menschen und ganz besonders in jungen Jahren, wo sich das Gehirn noch in besonderem Maße entwickelt und prägt. Daher ist es wichtig, sich bewusst zu machen, was ich machen kann, um eine belastende Situation zu verbessern. Auf diese Weise wird „Selbstwirksamkeit“ erfahren, das Gegenteil von Hilflosigkeit. Doch wie genau kann das aussehen? Was kann ein minderjähriges Kind konkret machen, um besser mit seiner Situation fertig zu werden?

Tätigkeiten, die sich bei hohen Belastungen bewährt haben

Mit dieser Frage haben sich retroperspektiv Erwachsene befasst, die mit an Psychose erkrankten Eltern aufgewachsen sind. Herausgekommen ist eine Zusammenstellung, die die nächste Generation von Kindern und Jugendlichen inspirieren kann. UnterstützerInnen der Kinder könnten eine solche Auflistung beispielsweise auch in Kindergruppen mit den Kindern bzw. Jugendlichen zusammen erstellen und ihnen anschließend die Liste zur Inspiration vorstellen. Da die Anregungen von Menschen sind, die einen ähnlichen Weg bereits erfolgreich gegangen sind, haben die vorgestellten Ideen oft noch einmal eine andere Glaubwürdigkeit, denn sie haben einen hohen Praxisbezug und werden eventuell eher adaptiert.

Erarbeitung im Rahmen der Gruppe Miteinander weiterWACHSEN

Die Reflexion und die Erstellung der folgenden Liste fand im Rahmen der von Katja Beeck von Netz und Boden angeleiteten Gruppe Miteinander weiterWACHSEN statt, an der regelmäßig sieben Frauen zwischen 25 und 43 Jahren teilnehmen. Alle haben zunächst jeder für sich und dann gemeinsam überlegt, was sie bereits als Kinder und Jugendliche ohne externe Anleitung Hilfreiches gemacht haben, um besser mit ihren Belastungen umgehen zu können und was sie auch noch retroperspektiv als hilfreich einschätzen. Diese Aufzählung könnte noch durch das ergänzt werden, was sie sich mittlerweile zusätzlich an Hilfreichem angeeignet haben. Spannend ist, dass die acht mittlerweile Erwachsenen intuitiv viele Methoden als Kind gewählt haben, die in der Resilienzforschung mittlerweile gut untersucht wurden.

Stärken stärken

Die Reflexion und das Zusammentragen in der Gruppe wurden von den TeilnehmerInnen durchweg als stärkend empfunden. Das liegt sicher daran, dass sich die TeilnehmerInnen ihre Stärken bewusst gemacht haben, über die sie bereits als Kinder und Jugendliche verfügten. Das stärkt nicht nur das Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl, sondern ermöglicht auch, bei erneuten Anforderungen diese seit langem eingesetzten Strategien gezielt einzusetzen.

Was Kinder intuitiv für sie Hilfreiches gemacht haben

  • Mir eine gute Freundin gewesen und mit mir gesprochen:
    • Mit mir laut vor einem Spiegel geredet und mich getröstet und mir Mut zugesprochen.
    • Mit meinem Kuschelhund/-teddy gesprochen,
  • Hilfe für meinen erkrankten Elternteil und mich geholt
    • mir zuverlässige Freunde gesucht, Menschen mit zuverlässigen Reaktionen gesucht
    • Meine Oma angerufen und gebeten zu uns in die Wohnung zu kommen,
      damit ich nicht allein mit meinem erkrankten Elternteil bin.
    • Zu Nachbarn gegangen, um Hilfe für uns zu holen.
    • Versucht, meinen erkrankten Elternteil ins Krankenhaus bringen zu lassen und dafür den Sozialpsychiatrischen Dienst angerufen und über die Situation zu Hause informiert.
  • Orientierung gesucht
    • nach Vorbildern gesucht, mich mit spannenden Menschen wie Sophie Scholl beschäftigt, KZ-Insassenliteratur verschlungen.
    • Viel Kontakt zu den Müttern meiner Freunde gesucht, mir von ihnen etwas abgeschaut.
    • Mit dem Leben anderer Menschen in Biografien und deren Anforderungen auseinander gesetzt, um zu sehen, dass ich mit meinen Belastungen nicht allein bin.
  • Fotoalben geklebt und mich an schöne Momente erinnert in Zeiten,
    in denen mir die Gegenwart unerträglich erschien.
  • Mir überlegt, was ich noch alles erleben will.
  • Pläne für meine Zukunft geschmiedet.
  • Mich in schöne Fantasiewelten geträumt mit Hilfe meiner Fantasie oder durch Bücher.
  • Meine Sachen geordnet, mein Zimmer aufgeräumt und schön gemacht und soweit ich konnte und durfte auch in unserer Wohnung. Diese äußere Ordnung hat mich innerlich geordnet und wieder handlungsfähig gemacht.
  • Mich von Sorgen abgelenkt, meine Aufmerksamkeit auf etwas anderes gelenkt:
    • Hörbücher gehört und mir vorgestellt, dass mir vorgelesen wird. Das hat mich beruhigt.
    • In Bücherwelten abgetaucht
    • Musikinstrument gespielt, um abzuschalten und auszudrücken.
    • Lieder gesungen, als ich viel Angst hatte, so habe ich den Kopf frei bekommen
    • gemalt – es ging um den Prozess, darin kann ich mich verlieren
    • etwas mit den Händen machen wie gemalt oder gebastelt
    • Viel unternommen, was mir Freude gemacht hat
    • etwas Neues ausprobiert.
    • Mich aufs Lernen konzentriert, um mich abzulenken (Flow erlebt), positives Feedback zu bekommen, gerade in Mathe war die Klarheit hilfreich, was richtig oder falsch ist
    • Viel Zeit außerhalb von Zuhause verbracht, in Vereinen gewesen, um dort neue Kontakte zu bekommen.
    • Musik gehört, die meiner Stimmung entsprach. Das fand ich tröstlich und ich habe mich verstanden gefühlt.
    • Filme gesehen, bei denen ich mich gesehen gefühlt habe.
    • Anderen bewusst eine Freude gemacht – das hat mir Freude gemacht.
    • Anderen bei der Lösung ihrer Probleme geholfen – da wo ich etwas verändern konnte
  • Bewegung
  • In den Wald, die Natur gegangen, das hat mich beruhigt und ich habe mich verbunden gefühlt.
  • Sport gemacht
  • lösungsorientiert gedacht – mir überlegt, ob und was ich überhaupt machen kann.

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