Angenehme Emotionen besser verstehen – sie sind kein Ziel, sondern ein Nebenprodukt

„Glück ist das Nebenprodukt eines erfüllten Lebens, nicht sein Ziel.“

Judith Mangelsdorf, Prof. für Positive Psychologie

Mit diesen Worten fasste Judith Mangelsdorf einen Blog-Post zusammen und brachte es gekonnt auf den Punkt. Den Zustand von angenehmen Emotionen erreichen zu wollen, sollte nicht unser eigentliches Ziel sein. Angenehme Emotionen sind Nebenprodukte und Teile eines erfüllten Lebens. Anders ausgedrückt: Es ist wenig sinnvoll nach Glück für sich zu streben, sondern ein erfüllendes Leben zu führen, in dem angenehme und unangenehme Emotionen Platz haben. Ganz im Gegenteil sogar: Menschen, die möglichst häufig glücklich sein wollen, sind oft unglücklicher als Menschen, denen das eigene Glück weniger am Herzen liegt. Doch woran liegt das? Dazu schauen wir uns zunächst die Aufgaben von Gefühlen an.

Gefühle haben Aufgaben

Alle Gefühle haben Aufgaben. Unangenehme Gefühle sind daher auch nicht perse „negativ“ oder „schlecht“ und angenehme Gefühle hingegen nicht perse „positiv“ oder „gut“.  Wenn ich den Sinn von Gefühlen verstehe, kann ich mich besser verstehen und auch besser für mich einordnen, ob ein von mir wahrgenommenes unangenehmes Gefühl bzw. dessen Maß gerade für mich förderlich oder hinderlich ist. Noch einmal auf den Punkt gebracht: Nicht jede unangenehme Gefühlsregung sollte „weggewünscht“ werden und nicht alle angenehmen Gefühle sollten willkommen geheißen werden.

Die Aufgabe von unangenehmen Gefühlen

Der Sinn von unangenehmen Gefühlen wie Angst, Trauer oder Wut lässt sich uns oft leichter erschließen: Sie helfen uns zu überleben, sie machen uns darauf aufmerksam, dass ein Grundbedürfnis nicht (ausreichend) erfüllt ist und versetzen uns auch körperlich in einen Zustand, der uns hilft, dieses wieder erfüllt zu bekommen. Dazu ein anderes Mal gerne mehr.

Die Aufgaben von angenehmen Gefühlen

Doch welche Aufgabe haben eigentlich angenehme Gefühle und warum haben sie sich im Laufe der Evolution entwickelt? Diese Frage stellte sich wohl vor über zwei Jahrzehnten erstmalig die amerikanische Wissenschaftlerin Barbara Fredrickson. Sie kam auf zwei wesentliche Punkte:

Erweiterung des Denk- und Handlungsspektrums

Angenehme Gefühle führen zu einer Erweiterung unseres Denk- und Handlungsspektrums. Beim Erleben positiver Emotionen sind wir kreativer, lösen komplexe Probleme besser, sind eher bereit, uns auf neue Gedanken, unbekannte Erfahrungen und neue Beziehungen einzulassen. Deswegen ist das Erleben von glücklichen Momenten im beruflichen oder privaten Kontext so hilfreich und bildet die Basis, um sich in Begleitprozessen wie Coaching oder Therapie weiter zu entwickeln.

Handlungsverstärker

Außerdem sind angenehme Emotionen richtungsweisend. Wenn sie auftreten, verstärken wir das Verhalten, das zu ihnen geführt hat. Wir suchen die entsprechende Situation öfter auf oder stellen sie aktiv wieder her. Sie zeigen uns, wo, wann und nicht zuletzt mit wem wir „richtig“ sind im Leben.

Zusammenspiel von unangenehmen und angenehmen Emotionen

Faszinierend dabei ist, dass uns auch sehr anstrengende und aufreibende Erfahrungen im Nachhinein glücklich machen können: der endlich gelöste Konflikt, die gelungene Bergbesteigung oder die bezwungene Beziehungshürde beispielsweise. Diese Beispiele zeigen deutlich, dass nicht jede unangenehme Emotion perse schlecht ist, sondern sogar Voraussetzung, um an bestimmte angenehme Emotionen zu kommen. Wenn ich mich für etwas anstrengen muss (unangenehmes Gefühl), werden wir mit einem angenehmen Gefühl (z.B. Stolz, Glück) belohnt, das dieses Verhalten verstärken möchte.

Das Streben allein nach den angenehmen Emotionen verursacht unangenehme

Wenn jemand aber nur gezielt danach strebt, möglichst oft an seine angenehmen Gefühle zu kommen und die unangenehmen minimieren möchte, wird er stattdessen mit mehr unangenehmen Gefühlen „belohnt“. Er setzt sich nicht nur selbst unter Druck, sondern wird das falsche machen (z.B. Drogen nehmen, die schnell glücklich machen), anstatt nach einem erfüllenden Leben zu streben, das emotionale Höhen und Tiefen für ihn bereit hält. Ziel und Konsequenz zu verwechseln ist ein häufig teuer bezahlter Trugschluss .

Zusammenfassung

  • Es ist wichtig, seine Gefühle wahrzunehmen und diese einordnen zu können. Dafür ist es wichtig, ihren Sinn zu kennen.
  • Angenehme und unangenehme Gefühle sind wichtig und gehören zu einem gelingenden Leben.
  • Angenehme Gefühle sind ein Produkt eines erfüllenden Lebens.
  • Das direkte Streben nach mehr angenehmen Gefühlen ist ein sicherer Garant für mehr unangenehme Gefühle.

Abgeleitete Empfehlungen

  • Es ist hilfreich, Menschen dabei zu unterstützen, ihre Gefühle wahrzunehmen und deren Aufgaben zu kennen.
  • Das Wissen um die Aufgaben von Gefühlen sollte Teil der Allgemeinbildung sein und gehört damit in der Schule vermittelt.
  • Da dieses Wissen nur in Ausnahmefällen dort vermittelt wird, gehört es in die außerschulischen sozialen Gruppenangebote – auch in die für Kinder mit psychisch erkrankten Eltern. Es ist Teil meiner Seminare für erwachsene Kinder, die mit psychisch erkrankten Eltern aufgewachsen sind.

Quelle

Judith Mangelsdorf: Warum das Streben nach Glück unglücklich macht. Blog-Post vom 21.06.2024 auf LinkedIn

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